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Wolfgang Herbert

Japan nach Sonnenuntergang

 

Versteckte Tempel, stille Teiche, raschelnde Kimono,  zarte Kirschblüten, rotglühender Ahorn – all diese zauberhaften Seiten Japans verzücken die Touristen und wir bewundern die immer höfliche, zurückhaltenden, disziplinierten Menschen dieses Landes.

 

Doch Japans dunkle Seite ist nicht mit den Samurai untergegangen oder mit Ende des zweiten Weltkriegs verschwunden.  Immer noch vegetieren Menschen in diesem wunderschönen Land dahin, die nie eine Chance erhalten, sich aus den Schatten zu lösen.

Wolfgang Herbert gab seinem Buch den Untertitel: Unter Gangstern, Illegalen und Tagelöhnern  und beginnt sein faszinierendes Werk mit seiner Geschichte von Ando. Ando, ein Konstrukt, wie er selber sagt, eine Verschmelzung dreier Tagelöhner, die er im Tagelöhnerviertel von Osaka kennenlernte, als er Feldstudien für seine akademische Arbeit betrieb.

 

In dieser Gesellschaft, die den untersten Bodensatz der in Brot und Arbeit stehenden Gesellschaft ausmachen sind keineswegs alle gleich. Es hat seinen Vorteil jung, stark und vor allem schwindelfrei zu sein, denn die Gerüstarbeiter „tobi“ bilden mit ihren 3% die Spitze der Tagelöhner. Sie logieren in teuren Hotels, tragen goldenen Schmuck, während sich die  80% „dokata“, welche am Boden Aushubarbeiten und andere einfache Arbeiten erledigen oft zu fünft in einer engen Absteige wie die Sardinen aneinander quetschen müssen.  Untermalt werden die Berichte Herberts durch zahlreiche schwarz-weiß Fotos.

 

Von den Tagelöhnern ging seine Reise weiter zu den Yakuza: aufwändige Tatoos, die oft den ganzen Oberkörper bedecken (das Buchcover zeigt kein Bild, sondern einen Rücken mit einem solchen Tatoo) und abgekappte Fingerkuppen sieht man auf den Fotos.  Seine Feldprotokolle erzählen von dem lockeren Umgang moderner Yakuza mit alten Symbolen, von deren Rolle als Ordnungsmacht innerhalb der Vergnügungsviertel und unter den Tagelöhnern. 

 

Nach getaner Arbeit wird der Lohn unters Volk gebracht und das heißt nicht nur Sake sondern auch Frauen. Obwohl Herbert zum Zeitpunkt seiner Feldstudien schon verheiratet war, machte er es hier wie die anderen Tagelöhnern auch und ließ sich von seinem Freund Ando zeigen, wo der Sex sauber und nicht zu teuer zu haben ist.

 

Es gibt nichts, was man aus diesem Buch über die Verwicklung  der Yakuza in Glücksspiele, Prostitution, Drogenhandel und Schutzgelderpressung sowie die Fäden, die bis in die höchsten Ebenen der Politik hineinreichen nicht erfahren kann, untermauert durch viele Zahlen und glaubwürdige Statistiken.

 

Besonders berührend sind aber die Einzelschicksale, die Herbert schildert – zum Beispiel das der philippinischen Hostess Isabella und der Einblick in das Elend der Obdachlosen.

 

Der Autor beleuchtet die Auswirkungen der japanischen Immigrationspolitik und die Arbeit der Schmugglerringe sowie den Umgang mit Illegalen.

 

Es empfiehlt sich, das Buch in Dosen zu lesen, um die Flut an Eindrücken und Informationen, die der Autor auf den Leser loslässt Portionsweise sacken zu lassen.

 

So schrecklich und hoffnungslos sich manche Passagen auch lesen, die schönen Seiten Japans verlieren dadurch nicht an Glanz.  Es ist nur leider so, dass Japan im Hinblick auf Menschlichkeit und Fairness gegenüber denen, die sich an die unterste Sprosse der sozialen Rangordnung klammern und gegenüber den Immigranten nicht wirklich besser dasteht als viele europäische Länder.  Leider.

 

Wolfgang Herbert

Japan nach Sonnenuntergang

Dietrich Reimer Verlag Berlin 2002

 

ISBN: 3496027339

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